Zur Geschichte

Die Wiederbegründung der Domschule im Jahr 1675

Seit dem Spätmittelalter erlebte die Magdeburger Domschule einen derartigen Niedergang, daß sie im 15. Jahrhundert auf den Status einer bloßen Trivialschule herabsank, die sich darauf beschränkte, den Schülern lediglich das Elementarwissen und die nötigsten Kenntnisse in der Liturgie zu vermitteln. Im ausgehenden Mittelalter gab es vermutlich sechs solcher Trivial- bzw. Parochialschulen innerhalb Magdeburgs. Im Jahre 1524, als der Rat und die Bürgerschaft der Stadt bereits die neue Lehre Luthers angenommen hatten, erfolgte auf Betreiben der Reformatoren Luther und Cruciger die Gründung einer evangelischen, lateinischen Stadtschule, die schnell zu hohem Ansehen gelangte und die katholisch verbliebene Domschule (das Domkapitel hielt sich der neuen Lehre gegenüber noch verschlossen) in den Schatten stellte. Angesichts der Konkurrenz des Altstädtischen Gymnasiums wurde um 1530 der Schulbetrieb an der Domschule eingestellt.

Nachdem sich das Domkapitel im Jahre 1561 zur Augsburger Konfession bekannt und der Domprediger Sack, zugleich Leiter des Altstädtischen Gymnasiums, im Jahre 1567 die erste evangelische Predigt im Dom gehalten hatte, fehlte es nicht an Überlegungen, am Dom selbst eine evangelische Schule einzurichten. Doch mit Blick auf das schon bestehende und in jeder Hinsicht florierende Altstädtische Gymnasium erwiesen sich solche Überlegungen als über flüssig und unangebracht. Anläßlich der Hundertjahrfeier der ersten evangelischen Predigt im Dom, des Iubilaeum Metropolitanum im Jahre 1667, nahmen die Pläne einer Schulgründung dann aber kon krete Form an. Am ersten Adventssonntag wurde von der Domkanzel verkün­det, „daß nun mehr eine ganz freie Schule beim Dom angerichtet sei, die Eltern möchten in solche ihre Kin der fleißig schicken“. Doch handelte es sich bei dieser 1667 gegründeten Schule um eine reine Elemen tarschule, d. h. sie war auf eine einzige Klasse beschränkt, in der nur ein Lehrer etwa 50 Kinder auf den Besuch einer höheren, weiterführenden Schule vorbe reiten sollte.

Seit März 1674 verfolgte das Domkapitel dann ernsthafte Pläne zur Erweiterung der Dom schule auf drei Klassen und zur Einstellung weiterer, angemessen ausgebildeter Lehrer. In ihrer inneren Organisation und im Lehrplan sollte die Magdeburger Domschule dem System bestehender Kathedralschulen angeglichen werden, so daß man eine Delegation nach Halber stadt entsandte, um sich über dortige Gepflogenheiten zu informieren. Konkrete Gestalt ge wannen die Erweiterungspläne dann mit dem 18. September des Jahres 1675, dem Tag, an dem Johann Georg Lohmeier zum ersten Rektor der erweiterten Magdeburger Domschule berufen wurde (der Text der Vokationsurkunde ist am Ende dieses Beitrages abgedruckt). Zuvor hatte Loh­meier an der Universität Rinteln eine Professur für griechische Sprache und Literatur innege habt und war dann von 1650 bis 1675 Rektor des Gymnasium Andreanum in Hildesheim ge wesen.

Die tatsächliche Aufnahme der Unterrichtsgeschäfte erfolgte dann erst mit dem Neujahrstage des Jahres 1676; von diesem Tag an wurden auch die Lehrer für ihre Arbeit bezahlt. Die fei erliche Einführung des neuen Rektors und seiner beider Kollegen durch das Domkapitel wurde am 16. März 1676 vorgenommen. Als Konrektor wurde Martin Rost, als Kantor Fried rich Henning Tuchtfeldt eingestellt.

Die Schülerschaft wurde in drei Klassen geteilt. In der obersten, der „Prima“, übernahm der Rektor Lohmeier den Großteil der Unterrichtsstunden. Auf dem Lehrplan standen Theologie, Logik, Rhetorik sowie die Lektüre von Cicero und Isokrates, außerdem lateinische Stilübun gen, Disputationen und Deklamationen. Geographie, Geschichte und Chronologie mußten sich die Schüler in Privatstunden aneignen. Das Fach Mathematik war im Lehrplan noch gar nicht vertreten. Es sollte noch knapp hundert Jahre dauern, bis es unter dem Namen „Meßwis senschaft“ Einzug an der Domschule hielt. Die zweithöchste Klasse, die „Sekunda“, wurde vom Konrektor und Kantor überwiegend in lateinischer und griechischer Grammatik und in Musik unterrichtet. Die unterste Klasse galt als Vorbereitungsklasse für die beiden oberen. Der Unterricht wurde in den Räumen über dem Domkreuzgang jeweils morgens von acht bis zehn und nachmittags von eins bis drei erteilt. Die Aufsicht über die Lehrer und die Schulan gelegenheiten lag in den Händen des Domkapitels.

Mit Lohmeiers Amtseinsetzung war die Domschule über den Rang einer einklassigen, reinen Elementarschule hinausgewachsen und hatte nun den Status einer höheren Schule, die ihre Schüler auf das Studium an einer Universität vorbereitete, wie dererlangt. Lohmeiers Beru fungstag, der 18. September, galt fortan als der Gründungstag der sogenannten dritten Mag deburger Domschule – bei dieser Zählung gilt die mittelalterliche Domschule als erste, die einklassige Elementarschule der Jahre 1667 bis 1674 als zweite Domschule.

Manfred Nollmann

Wortlaut der Urkunde, mit der Johann Georg Lohmeier am 18. September 1675 zum Rektor der Magdeburger Domschule berufen wurde

Wir Domdechant, Senior und Capitulgemein der Primat- und Erzbischöfli chen Kirche zu Magdeburg geben Euch, dem ehrenfesten und wohlgelahrten Ehren M. Johann Georg Loh meyern, bisherigen Rector der Schulen zu Hildesheim, neben Zuentbietung unseres gnädiges Gru ßes hiermit zu vernehmen. Demnach Wir bei hochgedachter Unserer Domkirchen neuan gelegten Schule unter andern auch zuvörderst einen Rectorem zu bestellen gemeinet und Uns dann Ihr wegen Eures bishero geführten christlichen Lebens und Wandels, auch deren zu solcher Function verliehe nen guten Gaben und Geschicklichkeit recommandiret und bekannt worden, als haben Wir uns ent schlossen, Euch bei sothaner Unserer neuangelegten Schule zu einem Rectori zu berufen. Wie wir dann im Namen der hochheiligen Dreieinigkeit Euch hierzu kraft diesem vociren und berufen derge stalt und also, daß Ihr den Rectorat solcher Unserer neu anrichtenden Schule über Euch nehmen, die Euch anvertraute discipulos in der Gottesfurcht, guten Sitten, Erudition und Geschicklichkeit nach Eurem besten Fleiß getreulich informiren, auch sonsten alles dasjenige, was wir diesenfalls verord nen werden, thun und verrichten, und Euch hiernebst in Lehr, Leben und Wandel also bezeigen und ver halten sollet, wie es dieses Euer Amt mit sich bringet und Ihr es dermaleins zu verantworten ge trauet, in maßen Wir uns dann dessen allerdings versehen und das gute Vertrauen zu Euch haben. Da gegen wollen Wir Euch zur Ergetzlichkeit und Salario jährlich von vorstehenden Michaelis an zu rechnen Zwohundert Thaler an Gelde und solche quartaliter mit 50 Thlrn. abstatten und nebst der freien Woh nung auch einen Wispel Roggen liefern lassen; dafern auch sonsten ei nige Accidentia vorfallen möchten, sollen Euch solche ebenfalls gegönnt werden; jedoch daß hierunter Jedwedem ein freier Wille gelassen und Niemandem wider die Gebühr etwas aufge drungen werde, welches Wir Euch hier mit vermelden wollen, und dessen zu Urkund Unser Insiegel hierunter wissentlich aufdruc ken lassen. So geschehen Magdeburg, den 18. Septem ber 1675.

Zitiert nach: Hugo Holstein, Geschichte des Königlichen Domgymnasiums zu Magdeburg. Festschrift zur Feier seines 200jährigen Bestehens am 18. September 1875, Magdeburg 1875, S. Original unter den Beständen des Domkapitels im Landeshauptarchiv Magdeburg.

5/6: Gottfried Benedikt Funk – Domschulrektor in einer Umbruchzeit